Dienstag, 27. September 2016

Buch-Rezension: Die smarte Art, sich durchzusetzen (Astrid Posner)

Natürlich kann man die Welt auch mal durch eine rosafarbene oder grüne oder blaue Brille betrachten. Das wirft ein anderes Licht auf alles Bekannte. Man sollte aber auch nicht vergessen, diese Brille hin und wieder abzusetzen. Jedenfalls geht es mir so mit diesen vielen Büchern, in denen alle zwischenmenschliche Kommunikation über einen einzigen Kamm geschert wird. Insbesondere die Machtspielchen-Brille verwende ich wirklich nur für einen kurzen Alternativ-Blick auf eine Szene, insbesondere dann, wenn ich weiß, dass mein Kommunikationspartner den Blaufilter schon fest auf der Nase sitzen hat. Ich finde es aber bizarr, alle zwischenmenschliche Interaktion als Machtkampf zu sehen, bei dem man gewinnen muss. In dem die "gleiche Augenhöhe" nur das Ergebnis eines unentschiedenen Machtkampfs sein darf. Besonders schmerzhaft finde ich, dass Astrid Posner Nähe, Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Teamgeist, das Einlassen auf andere oder Dankbarkeit als "Tiefstatus" bezeichnet. Und wenn sich jemand über einen Erfolg laut freut, dann tut er das laut Astrid Posner, um sich über den anderen zu erheben. Was wurde aus dem guten alten "Wes das Herz voll ist, des läuft der Mund über"? Dieses Prinzip ist wohl nicht nur grammatikalisch veraltet. Oder wie Rebecca Niazi-Shahabi (eine meiner Lieblingsautorinnen im Lebenshilfebereich) feststellte: Echte Gefühle werden heutzutage nicht mehr als solche erkannt. Gefühle müssen heutzutage inszeniert, fotographiert, publiziert und natürlich berechnet sein. Selbst mit der blauen Machtkampf-Brille auf der Nase finde ich, dass es den Status einer Person nicht nur (scheinbar, naja) hebt, wenn er einen anderen beleidigt, sondern auch wenn er ihn lobt. Posner meint, Komplimente würden den Status des anderen heben. Ich wage zu behaupten, dass jede Bewertung eines anderen Menschen dazu dient, den Status des Gegenübers zu senken, zumindest wenn ein machthungriger Mensch das tut. Witzigerweise kommen aber die unfreundlichen, berechnenden Menschen dann im Leben doch nie so ganz nach oben, weil Schein ohne Sein ein bisschen hohl bleibt.

Aber mal diese Details beiseite: Wie gesagt muss man eine solche Brille auch mal wieder abnehmen. Wir dürfen nicht Fakten mit Interpretation verwechseln. Was jemand sagt, das ist Fakt. Er hat es gesagt. Warum und wozu er das gesagt hat, das weiß meistens der Sprecher selbst nicht so ganz. Wie sollte das ein anderer wissen? Es gibt für jedes Verhalten mehrere mögliche Interpretationen. Und nicht jeder sieht die Welt blaustichig. Es gibt ja auch Menschen, die mehr harmonie- oder ergebnisorientiert denken als machtorientiert. Die ziehen im Machtkampf natürlich den Kürzeren, weil sie gar nicht kämpfen. Ob das der Blaubriller dann auch durchschaut?

Kurz und gut: Das Buch ist flüssig geschrieben, übersichtlich strukturiert und gibt mit seinen konkreten Fallstudien einen guten Einblick in das Denken machtorientierter Menschen. So gesehen können die Rosa- und Grünbriller dann mal alles durch die blaue Brille sehen und verstehen, warum sie so wenig Mitfreude ernten, wenn sie sich über etwas freuen. Ach, und leider erklärt dieses Buch viel zu viel von dem, was tatsächlich passiert.

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