Selbstüberschätzung von Führungskräften

Der Dunning-Kruger-Effekt ist ja bekannt: Inkompetente Menschen können weder ihr eigenes Unwissen noch das Wissen von Experten korrekt einschätzen. Ich nenne das gerne: "Ich habe mal ein Buch darüber gelesen und jetzt weiß ich mehr als alle anderen."

Neulich habe ich in der Zeitschrift ManagerSeminare (Heft 218, Mai 2016, S. 33) eine schöne Passage über die Selbstüberschätzung von Führungskräften gefunden. Könnte von mir sein. Hermann Arnold hatte 2013 seinen Posten als CEO der selbst gegründeten Firma abgegeben. Damit hat er dann u.a. folgende Erfahrungen gemacht:
"Zum Beispiel, wie viel von dem, was man als Führungskraft an Anerkennung und Machtzuschreibung bekommt, der Rolle und nicht der eigenen Person geschuldet ist. Zum ersten Mal habe ich das übrigens in einer Situation gespürt, kurz bevor ich in die Auszeit ging: Marc Stoffel [sein Nachfolger] und ich hatten ein Treffen mit potenziellen Kooperationspartnern. Anfangs war alles wie immer: Unsere Gesprächspartner sprachen vor allem mit mir, fragten mich nach meiner Meinung. Irgendwann habe ich nebenbei erwähnt, dass bald mein Kollege, Marc Stoffel, CEO werden würde. Dann ist etwas passiert, was ich niemals erwartet hätte: Von dem Moment an hat sich die Dynamik im Raum vollkommen verändert. Plötzlich haben die Gesprächspartner nur noch mit Marc Stoffel gesprochen, nur noch ihn angeschaut. Fast so, als würde ich nicht mehr existieren.
Interviewer: Klingt unangenehm...
Hermann Arnold: Das war es auch; es war verletzend fürs Ego. Aber es war auch eine wichtige Lernerfahrung. Führungskräfte denken immer, sie bekommen Aufmerksamkeit und Anerkennung, weil sie so toll sind. Selbst wenn man von Natur aus ein eher bescheidener Mensch ist, bleibt man davon nicht unberührt. Aber so ist es eben nicht. Vieles geht nur aufs Konto der Rolle, nicht der Person. Das ist etwas, das ich nun auch meinem Nachfolger ganz gut widerspiegeln kann. Denn ich beobachte auch an ihm, dass er manchmal in dieses Denken tappt. Etwa wenn er sich bei mir beschwert, dass seine Teams ihn zu häufig zu Hilfe holen, wenn etwas nicht klappt. Er erzählt mir dann manchmal verwundert, dass er selbst das Problem in einer Stunde gelöst habe... und ich sage ihm: "Vorsicht, das liegt nicht daran, dass du so klug bist, sondern vor allem daran, dass du in einer Position bist, in der du die Dinge leichter ans Laufen bringen kannst."

Wie wahr, wie wahr. Ich hatte ja auch schon mehrfach interimsweise einen hohen Status. Das war schon schön, wenn sich plötzlich alle Menschen hilfsbereit und höflich verhalten. Habe ich einen geringeren Status oder sehen sie mir meinen Status nicht an, verhalten sie sich oft sogar absichtlich unhöflich. Nur mal als Beispiel: Ich wollte in der Universitätsbücherei am ruhigsten Samstagvormittag ein Buch ausleihen. Leider hatte ich nicht die nötigen zwei 2-Euro-Stücke für das Schließfach und sprach die Mitarbeiterin an. Sie reagierte ruppig ("Schon wieder so eine...") und schärfte mir mehrmals ein, ich müsse das Geld später wieder zurück wechseln. Das klang aber nach "Ich habe es Dir - Studentin - schon drei Mal gesagt, aber ich weiß schon, Du wirst später nicht daran denken."
Später hatte ich dann technische Schwierigkeiten bei der Selbstausleihe und wollte um Hilfe bitten. Ich wurde aber erstmal minutenlang hartnäckig ignoriert. Schließlich bewegte sich die Mitarbeiterin betont langsam von ihrem Bildschirm fort und erklärte mir, dass doch alles ganz einfach sei.
Beim Blick auf meine Ausleihkarte sah sie meinen Doktortitel und plötzlich war sie ein ganz anderer Mensch. Schlagartig war mein technisches Problem ein ganz normales, sie wickelte mich unerwartet in süßlichsten Small Talk ein, und als ich später ihr Kleingeld zurück wechseln wollte, wollte sie es gar nicht mehr zurück. Typisch! Von solchen Leuten sollte man darum seine Selbsteinschätzung nicht abhängig machen, weder im Guten noch im Schlechten, und das Fremdbild anderer kann man in die Tonne treten, weil es üblicherweise auf falschen Annahmen beruht. Schließlich bilden sich die meisten Menschen ein (siehe Dunning-Kuger-Effekt), andere auf den ersten Blick einschätzen zu können. Damit setzen sie sich selbst unter Druck, Fehleinschätzungen zu treffen.
Auf der sicheren Seite ist man letztlich, wenn man alle Menschen gleich freundlich und höflich behandelt. Das vermeidet so manchen Fettnapf und macht die Welt zu einem besseren Ort, ist aber für die meisten wohl zu anstrengend. Man konzentriert seine Achtung immer auf denjenigen mit dem höchsten Status. Selbst schuld! Da gebe ich gerne eine Runde Fettnäpfe aus.

Andrea Herrmann

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